6.2 C
München
Dienstag, November 19, 2024
StartFinanznachrichtenIm Labyrinth der Schufa

Im Labyrinth der Schufa

Im Labyrinth der Schufa

Neues Auto, schicker Fernseher, 24-Monate-Handyvertrag: Beim Kauf auf Pump geht ohne den Bonitätsprüfer und fleißigen Datensammler Schufa so gut wie nichts. Eine Handelsblatt-Reportage darüber, wie das Gedächtnis des Geldes funktioniert.

FRANKFURT. Es ist ein irritierendes Gefühl. Erst vor wenigen Minuten hat man im Vorzimmer aus dem Blechautomaten an der schmucklosen Wand die Wartenummer 493 gezogen, schon sitzt man vor einer charmanten, ausgesprochen höflichen jungen Dame. Doch trotz der vorbildlichen Dienstleistungskultur krampft sich der Magen ein wenig zusammen. In etwa so, als sei man gerade überraschend in eine Polizeikontrolle geraten.

Eigentlich weiß man genau, dass man nicht zu schnell gefahren ist und auch keine unzulässigen Mengen alkoholischer Getränke konsumiert hat, aber irgendwie plagt einen doch das schlechte Gewissen.

Der Schreibtisch der höflichen jungen Dame steht im ersten Stock eines nicht gerade repräsentativen Bürohauses am eher schäbigen Ende der Frankfurter Zeil. Schufa steht in großen Buchstaben an der Tür und: "Wir schaffen Vertrauen".

Das ist nicht übertrieben, denn ohne die Schufa geht in Deutschland beim Kauf auf Kredit kaum etwas. Umgekehrt heißt das aber auch, wem die Schufa misstraut, der muss mit drastischen Folgen rechnen. Konten werden gekündigt, Kreditkarten gesperrt, Handyverträge verweigert. Die persönliche Finanzwelt beginnt sich aufzulösen.

Also sieht man doch besser einmal nach, was sich in der eigenen Schufa-Akte findet. Selbstauskunft heißt das im Jargon der Bonitätswächter, und die bekommt man am günstigsten, nämlich umsonst, wenn man persönlich bei einer der 14 Geschäftsstellen in Deutschland vorbeischaut. Dabei lässt sich vielleicht auch eruieren, wie das Gedächtnis des Geldes eigentlich funktioniert.

Denn noch immer umgibt die Organisation der Hauch des Geheimnisvollen. Schon lange klagen Verbraucherschützer über fehlende Transparenz im Irrgarten des Datendschungels. Die Illustrierte "Stern" schrieb bereits in den 70er-Jahren über "Bürger im Würgegriff der Schufa". Und tatsächlich erinnern einige der langjährigen Kämpfe rund um die Organisation aus Wiesbaden an Franz Kafkas Landvermesser K. und dessen ebenso verzweifelte wie vergebliche Versuche, zu den Behörden im "Schloss" vorzudringen.

 

Aber natürlich hinkt der Vergleich mit Kafkas Werk. Die Büros auf der Zeil mögen zwar aussehen wie ein Arbeitsamt der moderneren Sorte, doch um eine Behörde handelt es sich bei der Schufa nicht, auch wenn das noch immer viele vermuten.

Tatsächlich war es der Berliner Stromversorger Bewag, der bereits 1927 auf die Idee kam. Die Bewag verkaufte damals nicht nur Strom, sondern auf Raten auch Elektrogeräte wie Kochplatten, Staubsauger oder Kühlschränke. Der Umsatz stieg, die Probleme mit der Zahlungsmoral der Kunden aber auch. Und so gründete der Stromversorger gemeinsam mit einigen Banken und Handelsunternehmen die Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung.

Eine Erfolgsgeschichte. Ehe man heute den Flachbildfernseher in Raten zahlen kann, bevor der Kredit für das neue Auto auf das Konto fließt, steht in aller Regel die Unterschrift unter die Schufa-Klausel, mit der der Kunde einen tiefen Blick in die eigene Finanzgeschichte gestattet. Die Zustimmung erfolgt zwar freiwillig, aber ohne wird es meist nichts mit einem neuen TV oder Auto. Ein Knopfdruck genügt, und Banken oder Unternehmen erfahren per Standleitung, ob ihr Kunde bereits einmal einen Kredit platzen ließ oder gar den Offenbarungseid leisten musste.

Heute weiß die Schufa vielleicht nicht alles, aber sie weiß viel: 362 Millionen Einzeldaten zu 62 Millionen Kunden lagern in ihren Computerarchiven, Namen, Adressen, Informationen zu Kreditkarten, Girokonten, Bürgschaften und Darlehen. Die Schufa streckt ihre Fühler immer weiter aus. Längst prüft sie nicht mehr nur Darlehen oder Ratenkredite.

Manchmal ahnt der Verbraucher nicht einmal, dass es sich bei seinen Geschäften um einen Kredit handelt. Versandhändler, bei denen auf Rechnung bestellt wird oder Handyverträge – das sind alles Geschäfte auf Pump. Aber auch wenn es um die Bonität von Selbstständigen und kleinen Unternehmen oder die Zahlungskraft von Wohnungsmietern geht, weiß die Schufa Bescheid.

"Wir werden noch größer, weil wir es können", steht über einem der Hochglanzfotos im Geschäftsbericht. Das klingt nicht nur selbstbewusst, sondern auch bedrohlich, finden zumindest Verbraucherschützer.

Das Prinzip, nach dem die Organisation funktioniert, ist simpel: Ähnlich wie die Polizei Verkehrssünden in der Flensburger Kartei abfragt, können sich Banken und Unternehmen bei der Schufa informieren, ob ihre Klienten kreditwürdig sind. Dabei gilt die Regel, nur wer Daten liefert, darf auch abfragen, und so melden 4 500 Vertragspartner von der Sparkasse bis zum Internethändler Verstöße gegen die Zahlungsmoral.

"Negativmerkmal" heißt das im besten Bürokratendeutsch. Und wenn sich ein solches in der eigenen Akte findet, dann verstehen die Schufa-Mitglieder in der Regel keinen Spaß. Und so sitzt man nun der freundlichen jungen Dame im Büro auf der Zeil gegenüber und hat eben ein flaues Gefühl in der Magengegend. Wie viele Mahnungen waren das eigentlich damals nach dem Umzug, als im Chaos die eine oder andere Rechnung unterging?

"Wie lange wohnen Sie schon in der Schubertstraße in Mannheim?"* will die junge Dame als Erstes wissen. Schuberstraße? Welche Schubertstraße? Leider muss man einräumen, dass man die Straße gar nicht kennt, geschweige denn dort jemals eine Wohnung unterhielt. "Aha, dann handelt es sich wohl um einen Namensvetter, der am gleichen Tag Geburtstag hat", meint die junge Dame.

"Unsere Mitarbeiter sollen genau überprüfen, wer vor Ihnen sitzt, um Verwechslungen zu vermeiden, betont Schufa-Sprecher Stefan Horst. Das wäre in diesem Fall gelungen. Aber irgendwie wünscht man sich doch, dass der Namensvetter in Mannheim Tilgung und Zinsen immer pünktlich bezahlt. Schließlich kennt man all die Schreckensgeschichten über die Schufa.

Da ist zum Beispiel die Stiftung Warentest, die vor vier Jahren 100 freie Mitarbeiter losgeschickt hat, um Eigenauskünfte einzuholen. 22 von ihnen bekamen veraltete und vier falsche Informationen. Und da ist die Geschichte des Familienvaters, dem die Bank den Überziehungskredit kündigte, weil er angeblich der Postbank 400 Euro schuldete. Doch dort hatte er gar kein Konto.

Auf der Internetseite "Schufa-Nein-Danke.de" lässt sich die ganze Bandbreite von Verhängnissen und Verwicklungen nachlesen: Banken, die ohne Erlaubnis Daten abfragen, Einträge scheinbar ohne jede Grundlage, Verwechslungen aller Art. Die Folgen: kein Kredit, kein Internetanschluss, kein Dispo. "Konsumenten macht euch frei von der Schufa-Tyrannei", empören sich echte und vermeintliche Opfer in Proletarierlyrik.

Rainer Neumann kann die ganze Aufregung nicht so recht verstehen. Der 54-Jährige leitet seit sechs Jahren als Vorstandschef die Schufa. Neumann ist studierter Mathematiker, und als solcher glaubt er, dass die Kritiker einem logischen Fehlschluss unterliegen: "Die Schufa verhindert keine Kredite, sie macht sie erst möglich", sagt er. "Ohne unsere Absicherung würden viele Verträge gar nicht erst zu Stande kommen."

Die Theorie dahinter: Ganz oben im Bonitätsspektrum stehen die Verbraucher, deren Zahlungsmoral über jeden Zweifel erhaben ist. Unten rangieren jene, deren Bonität zu wünschen übrig lässt, und dazwischen liegt jene Grauzone, die für Neumann so interessant ist: "Jede zusätzliche Information sorgt dafür, dass mehr Verbraucher aus der Grauzone als kreditwürdig eingestuft werden."

Doch ganz so simpel ist die Sache nicht. Seit 1997 bietet die Schufa ihren Partnern einen reichlich umstrittenen Service an: Das Scoring-Modell. Konkret heißt das: Die Schufa berechnet einen Wert zwischen null und tausend, der die Kreditwürdigkeit eines Verbrauchers anhand von Vergleichskriterien unabhängig von der individuellen Finanzlage misst.

Das Problem dabei: Welche Kriterien wie genau den Score beeinflussen, ist das Geschäftsgeheimnis der Schufa, so gut gehütet wie die Rezeptur von Coca-Cola.

Peter Müller* weiß, was das in die Wirklichkeit übersetzt heißt. Zwei Mobilfunkanbieter weigerten sich, dem Angestellten einen Handyvertrag zu verkaufen. Seinen niedrigen Score führt er auf seine vielen Umzüge zurück. Umzüge kosten Geld, genau wie das Einrichten neuer Wohnungen und schmälern deshalb die Bonität – so die Theorie.

Ein weiterer Aufreger für die Verbraucherschützer: Wer als mündiger Konsument bei mehreren Banken Angebote einholt, bevor er einen Kreditvertrag unterschreibt, der riskiert einen Punkteabzug beim Score. Jedes konkrete Kreditangebot löst in der Regel eine Anfrage bei der Schufa aus und viele Anfragen belasten den Score. Im Herbst will Neumann die merkwürdige Regel abschaffen: "Wir wissen, dass wir so offen wie möglich sein müssen, um das Vertrauen der Verbraucher zu gewinnen."

Das hindert den Bundesbeauftragten für den Datenschutz Peter Schaar jedoch nicht daran, sich auch in seinem jüngsten Bericht zu beklagen, dass die Schufa "den Forderungen nach umfassender Transparenz ihres Scoring-Verfahrens bislang nicht nachgekommen ist".

Der Datenschützer hat aber noch mehr zu monieren. Vor allem der Vorstoß in Richtung Wohnungswirtschaft macht Schaar Sorgen. Seit einigen Jahren melden die Bonitätswächter Verstöße gegen die Zahlungsmoral an Wohnungsunternehmen. "Ein Betroffener muss damit rechnen, als Mieter abgelehnt zu werden, weil er seine Handyrechnung nicht rechtzeitig bezahlt hat", heißt es im Datenschutzbericht. Ein "angesichts der schwierigen Verhältnisse am Wohnungsmarkt unakzeptables Ergebnis".

Es gibt aber auch Menschen, die die Schufa mögen, sie sogar für unverzichtbar halten. Die Experten der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung etwa: "Die Schufa schützt Schuldner vor sich selbst. Einer muss doch verhindern, dass sich Menschen immer mehr Geld leihen, dass sie nie zurückzahlen können."

Und es gibt auch Menschen, die durch das Netz der Schufa schlüpfen. Der Besucher in der Niederlassung auf der Zeil zum Beispiel. "Nein, über Sie haben wir gar nichts in unseren Akten", sagt die junge Dame.

"Nichts? Ist das nicht beunruhigend? Existiert man als Konsument überhaupt, wenn man für die Schufa nicht existiert?" "Das kommt vor, schließlich sind ja nur 62 Millionen Menschen und nicht alle Deutschen bei uns erfasst", versucht die Schufa-Beraterin die Selbstzweifel zu zerstreuen. "Aber selten ist es schon." Vielleicht sollte man mal eine neue Kreditkarte beantragen oder den Flachbildfernseher auf Raten kaufen. Um auf Nummer sicher zu gehen.

*Namen und Daten geändert, (quelle: handelsblatt.com) 

Beliebte Beiträge